Feinmeß Dresden

VEB Feinmeß Dresden

Bonotar 4,5/105 mm

Bonotar Junior Verschluß

Dieses kleine Fernobjektiv sollte hier in dieser Zusammenstellung der DDR-Objektive nicht fehlen, da es aufgrund seines niedrigen Preises von Vielen als das erste Zusatzobjektiv zu ihrer Spiegelreflexausrüstung gekauft wurde. Ursprünglich war es als Normalobjektiv für Faltkameras des Formates 6x9 cm der Firma Balda/Belca geschaffen worden. Und zwar im August 1953. Kurz zuvor hatte es den großen Knall vom 17. Juni gegeben. Eilig wurde nun von der Ulbricht-Regierung die im Jahr zuvor durchgeboxte massive Konzentration auf die Schwer- (und Rüstungs-) Industrie zurückgefahren und auf eine Ausweitung der Konsumgüterproduktion umgeschwenkt. Der Aufbau einer Photo-Objektivfertigung im Feinmeß-Werk war zwar offenbar schon zuvor anberaumt worden, kam nun aber zur rechten Zeit. Insbesondere die hauptsächlich auf den Inlandsmarkt ausgerichtete Belfoca des Belca-Werkes wurde nun in der Folgezeit mit den beiden Feinmeß-Objektiven Bonar 6,3 und Bonotar 4,5/105 mm ausgerüstet. Das Bonotar war von vornherein mit einem Entspiegelungsbelag versehen.

Belca Belfoca Bonotar

Die Nachfrage nach diesen Falt-Kameras des Formates 6x9 ging allerdings in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre drastisch zurück, weil sie schlicht aus der Mode gekommen waren. Es dominierte nun das Kleinbild, mit dem man bei Bedarf auch einmal Farbdias anfertigen konnte. Um dem zu begegnen, wurde das Bonotar auf der Frühjahrsmesse 1956 in einer einfachen, aber sehr leichten Schneckengangfassung mit Normalblende vorgestellt [Vgl. Brauer, Eugen: Messe-Neuheiten; in: Bild und Ton 4/1956, S. 97.]. Damit war ein neuer Absatzmarkt erschlossen: Die im Laufe der 1950er Jahre immer größer werdende Riege der Kleinbild-Amateure mit einer eigenen Spiegelreflexkamera. Der damalige Preis ist mir nicht bekannt, aber dieses Objektiv dürfte von Beginn an für Jedermann erschwinglich gewesen sein. Der letzte Preis lag jedenfalls bei 55,- Mark. Das war nach der großen, von oben angeordneten Preissenkung vom Mai 1960. Viel länger wurde das Bonotar offenbar auch nicht gefertigt. Mag sein, daß diese Preissenkung der Punkt gewesen ist, ab dem sich die Herstellung nicht mehr gelohnt hat.

Feinmess Dresden Bonotar 4,5/105mm

Angesichts der dreilinsigen Ausführung und des stets moderaten Preises könnte man eigentlich davon ausgehen, daß man qualitativ nicht allzu viel von diesem Objektiv zu erwarten habe. Dadurch aber, daß an einer Kleinbildkamera nur ein wesentlich kleinerer, zentral gelegener Teil des eigentlichen Bildkreises einer solchen Mittelformat-Optik ausgenutzt wird und das Bonotar darüber hinaus durch sorgfältige Konstruktionsarbeit ziemlich gut auskorrigiert ist, entpuppt sich dieses Triplet als erstaunlich leistungsfähig. Es dürfte dem Objektiv auch zugute gekommen sein, daß es als Kleinbildobjektiv nicht durch die Verstellung der Frontlinse, sondern durch Schneckengang fokussiert wird. Frontlinsenfokussierung ist aus Sicht des Kamerakonstrukteurs eine tolle Sache, aus Sicht des Optikers aber immer ein zwiespältiger Kompromiß, denn er hat seinem Objektiv wohldefinierte Linsenabstände mitgegeben, auf deren Basis die Gesamtkorrektur des System aufgebaut ist. Wird einer dieser Abstände zum Zwecke einer mechanisch sehr einfach gehaltenen Scharfstellung angetastet, so wirkt sich das stets als mehr oder minder tiefgreifende Qualitätseinbuße aus.

Feinmess Bonotar

Somit wurden Besitzer dieses Bonotars nur deshalb manchmal ein wenig belächelt, weil sie angesichts der begrenzten Lichstärke mit ihrem 16 DIN Agfacolor Umkehrfilm bei schlechten Lichtverhältnissen öfters mal auf eine Aufnahme verzichten mußten – nicht aber, weil es sich beim Bonotar grundsätzlich um ein minderwertiges Objektiv gehandelt hätte.

Es sei an dieser Stelle nur nebenbei bemerkt, daß dem VEB Feinmeß eine besondere Rolle in der Deutsch-Deutschen Industriegeschichte zukam. Aus bisher noch nicht ermittelten Gründen wurde dieser Betrieb in den 1950er Jahren als Alibi-Firma insbesondere für Patentanmeldungen des VEB Zeiss Ikon in der Bundesrepublik genutzt, um durch die rechtlich in der Schwebe liegende Marke "Zeiss Ikon" die Verfügung über diese Schutzrechte nicht zu riskieren. Viele zentrale Kamera-Patente für bekannte DDR-Erzeugnisse finden sich daher paradoxerweise als Eigentum des VEB Feinmeß, der ja selbst im Kamerabau gar nicht tätig war. Diese Praxis kommt erst mit der Gründung des VEB Kamera- und Kinowerke 1959 weitgehend zu einem Ende.

VEB Feinmess Dresden

Das Hauptgebäude des ehemaligen VEB Feinmess Dresden, Kleiststraße 10, im Jahre 1994. Das Kürzel "VEB" an der Fassade ist bereits abgeschlagen worden [Hans Reinecke, Deutsche Fotothek, Datensatz 70017225}. Dahinter befindet sich der eigentliche, im Jahre 1912 bezogene Fabrikkomplex (siehe Abbildung weiter oben). Der Betrieb ging zurück auf eine im Jahre 1872 (!) von Gustav Heyde (1846 - 1930) eröffnete Werkstatt für astronomische Geräte. Der Gründer zog sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg aus der Leitung der Firma zurück, die daraufhin von den Söhnen Julius und Johannes weitergeführt wurde. Im Jahre 1931 wurde sie unter dem offenbar ebenfalls Gustav Heyde genannten Enkel (?) in eine Kommaniditgesellschaft gewandelt und in der Folgezeit auf Rüstungslieferungen ausgerichtet. Von mehr als 1000 Beschäftigten während der Kriegsjahre ist die Rede. Infolge dessen wurde die Firma im Jahre 1946 von der Besatzungsmacht demontiert und parallel dazu vom Land Sachsen enteignet. Beide Schreibweisen "Feinmeß" und "Feinmess" des ab 1948 so benannten Volkseigenen Betriebes kommen noch lange Zeit gemischt vor (so wie auch bei Zeiss erst später auf die Ligatur im Namen des Gründers verzichtet wurde, da diese außerhalb des Deutschen Sprachgebiets schlichtweg nicht entzifferbar ist)

Bonotar Kontrollschein

Oben der "Kontrollschein" für ein Kleinbild-Bonotar Nr. 2427 vom 5. Oktober 1956. Nach Aussage des Konstrukteurs dieses Objektivs sollen bis 1960 etwa 14.000 Stück mit M42-Gewinde für die Praktica und Contax und etwa 4000 mit Exakta-Bajonett fabriziert worden sein. Da das Objektiv offenbar nie für den Export vorgesehen war, dürften tatsächlich hauptsächlich DDR-Bürger in dessen Besitz gelangt sein. Das war in der DDR bei hochwertigen Konsumgütern eine seltene Ausnahme. Sonst gab es von den Erzeugnissen stets nur kleine Kontingente, die für den Inlandsmarkt abgezweigt wurden. Das Bonotar wurde also nicht (nur) deshalb gerne gekauft, weil es gut, preiswert und kompakt war, sondern weil es überhaupt in den Geschäften angeboten wurde.

Reklame für Feinmeß-Bonotare für Rollfilm- und Kleinbildkameras aus dem Jahre 1957. Gut zu sehen die beiden parallel genutzten Schreibweisen des Firmennamens.

Feimess Bonotar Werbung

Der Errechner des Bonotars, Ing. Claus Lieberwirth, im Dezember 2018 (photographiert von Oliver Maerz, Dresden).

Marco Kröger


letzte Änderung 9. März 2024