Serienmäßig umgebaut?

Serienmäßig umgebaut?

Neue Erkenntnisse zur Geschichte der Spiegelcontax

Im Jahr 2015 hat mich Yves Strobelt mit einer schweren Krankheit angesteckt – dem „Spiegelcontaxfieber“. Diese „Infektion“ hat sich im Nachhinein deshalb als sehr hartnäckig erwiesen, weil sie viele Fragen aufwarf, für die ich nicht immer die richtigen „Behandlungsmethoden“ finden konnte. Die Informationen über diese Kamerabaureihe fliegen nämlich wie Kraut und Rüben durcheinander, was offenbar dem unsauberen Arbeiten der „Forscher“ geschuldet ist. Da gibt es beispielsweise Kamerasammler, die – bildlich gesprochen – den Durchmesser von Bedienknöpfen mit der Schiebelehre nachmessen, um dann danach die Kameras in verschiedene Modellreihen einzuordnen. Da gibt es ein Standardwerk, von dem im Prinzip alle anderen Autoren abschreiben, das aber keinerlei Quellen angibt und dessen Datenangaben mittlerweile so viele Diskrepanzen aufgeworfen haben, daß so Manches wohl als frei erfunden angesehen werden muß. Das wiederum veranlaßt verunsicherte Autoren dazu, von einer Publikation zur nächsten komplett den Standpunkt zu wechseln. Und zu guter letzt steht sogar ein Exemplar unserer Contax im Museum, das deren Frühzeit dokumentieren soll, von dem es aber heißt, es sei nachträglich gefälscht worden. Es ist zum verzweifeln.


Dabei hätte es genügt, einmal etwas genauer hinzuschauen. Mir sind beim Umgang mit diesen Kameras Merkmale aufgefallen, die offensichtlich in Vergessenheit geraten waren, die aber sehr interessante Einblicke in die Frühzeit der Spiegelcontax liefern und dabei weit mehr Rückschlüsse zulassen, als die phantasiereiche Interpretation bloßer Äußerlichkeiten.

Contax S Nr. 2012

Abb. 1 und 2: Oben die für diesen Aufsatz wichtige Contax S mit der frühen Seriennummer 2012 eines niederländischen Sammlers, unten zum Vergleich eine spätere S Typ D mit der Nummer 11 312. Interessant an der oberen Kamera ist, daß sie sowohl den zeittypischen Blitzkontakt im Stativgewinde, als auch einen professionell installierten koaxialen Blitzanschluß in einer Bauweise besitzt, der nicht „von der Stange“ ist. Wann und in welchem Zusammenhang die Kamera jenen zweiten Blitzanschluß bekommen hat, ist nicht bekannt. Allerdings führen zu beiden Anschlüssen Kabel aus ein und demselben Material, wie es typisch für die 50er Jahre der DDR war. Es könnte sich also um einen Umbau aus den 50ern halten.

Contax S Typ D Nr. 11312

Der Anlaß, sich mit diesem „Rätsel“ ein wenig intensiver zu befassen, lag darin begründet, daß ich im letzten Jahr zufälligerweise gleich zwei frühe Contax S kurz hintereinander zur Reparatur auf dem Tisch hatte. Beide Sammler – einer davon Yves Strobelt – wollten ihre Kameras unbedingt funktionstüchtig haben. Yves‘ Contax S mit der Nummer 13045 war in einem sehr schlechten Zustand, die Tücher regelrecht herausgerissen, die Welle der Steuerwalze verbogen und das Hemmwerk beschädigt. Bei der zweiten Kamera waren Teile im Transportmechanismus gebrochen und die Tücher unbrauchbar. Bei beiden Kameras konnte man in etwa erahnen, welcher Art die Qualitätsmängel waren, die zu Beginn der Serienproduktion der Contax Probleme bereiteten.

Contax Sperrklinen

Abb. 3: Abgebrochene Sperrklinke aus der Contax S  mit der Seriennummer 2012. Die unten abgebildete Sperrklinke aus einer wesentlich späteren Kamera ist dann offensichtlich aus anderem Material gefertigt worden.

Nach dem Öffnen der ersten der beiden Kameras kam die Überraschung: Hier sah einiges ziemlich anders aus als von späteren Contax gewohnt. Vom Hemmwerk ragte ein langer Draht bis zum Transportgetriebe, an dessen Ende sich ein massiver Messingblock befand. Unter dem Transportgetriebe war ein langer Hebelmechanismus, der sich bei späteren Modellen nicht finden läßt. Nach dem Ausbau von Turmlager und Vorhangwalze offenbarte sich, daß auch diese Teile Unterschiede aufwiesen. Damit war klar, daß die Verschlüsse dieser beiden Exemplare der Contax S in wesentlichen Merkmalen anders aufgebaut waren, als die Verschlüsse späterer Modelle. Auch wenn man auf den ersten Blick nur von Details sprechen mag – das Funktionsprinzip des Verschlusses wurde nämlich nicht grundlegend geändert – so handelt es sich aus technischer Sicht durchaus um eine weitgreifende Überarbeitung, die wohl angesichts massiver Probleme mit der Zuverlässigkeit der frühen Serienmodellen der Spiegelcontax notwendig war.

Abb. 4: Der offensichtlich als Ablaufbremse dienende Hebelmechanismus der Contax S. Interessant ist, daß der Hebel mit einer eingekratzten Seriennummer 2010 versehen ist, die Kamera aber die Seriennummer 2012 hat. Die Bildbühne dieser Kamera trägt sogar die Seriennummer 2264. Hier wurde also damals offenbar ziemlich zusammengestückelt.

Die auffälligsten Unterschiede zwischen den Verschlüssen dieser beiden frühen Modelle und den Serienkameras ab dem Modell Contax D lassen sich im Wesentlichen in drei Punkten zusammenfassen. Der in technischer Hinsicht wohl Weitreichendste ist der in Abb. 4 gezeigte Hebel, den ich nur als Verschlußbremse deuten kann. Diese Vermutung liegt deshalb nahe, weil die bei den späteren Modellen so charakteristische „Prellsicherung G475“ hier noch fehlt. Diese Prellsicherung vernichtet am Ende des Verschlußablaufs die Bewegungsenergie der Vorhänge und verhindert, daß diese in den Lichtpfad zurückprellen bzw. sich der bereits geschlossene Belichtungsschlitz wieder öffnet. Offensichtlich wird bei der frühen Contax die Funktion des Abbremsens durch den obigen Hebel und die Funktion der Prellsicherung durch einen federnden Haken im Bildfensterbereich bewerkstelligt. Um aber hierzu genauere Aussagen machen zu können, müßte man Zugriff auf eine Reparaturanleitung der frühen Contax S haben.

Vorhangwalzen

Abb. 5 und 6: Vorhangwalzen (oben) und Turmlager (unten) des ursprünglichen Verschlusses der Contax S (jeweils links) und des überarbeiteten der Contax D ff (jeweils rechts). Die andere Formgebung des Contax D Turmlagers (rechtes Bild unten mit dem vorn sichtbaren, angeschraubten Messingblech) sollte sich noch als wichtiger Anhaltspunkt herausstellen.

Turmlager

Als zweiter wichtiger Unterschied stellten sich der andere Aufbau und die abweichende Form des Turmlagers dar. Bekanntermaßen arbeitet der Schlitzverschluß der Spiegelcontax, ähnlich wie die Barnack‘sche Konstruktion für die Leica, mit einer getriebelosen Ablaufsteuerung, das heißt die Steuerwalzen beider Vorhänge liegen auf einer gemeinsamen Achse und sie sind vom Durchmesser so dick gewählt, daß auf ihrem Umfang die gesamte notwendige Tuchlänge Platz findet. Kameras wie die Exakta und Praktica arbeiten mit dünneren Walzen, die mithilfe einer entsprechenden Getriebeuntersetzung mit der Verschlußsteuerung verbunden sind. Die ausgeklügelten Verschlüsse der Leica und Spiegelcontax benötigen ein solches Getriebe nur zum Spannen des Verschlusses, also um die Vorhangwalze eine knappe Vollumdrehung zu bewegen. Das dazu notwendige Zahnrad war bei der Contax S ursprünglich Bestandteil der Verschlußwalze und unmittelbar mit den Seilscheiben des ersten Verschlußvorhanges verbunden. Bis auf ein kleines Segment war es durchbrochen, um die Ansteuerung des zweiten Verschlußvorhanges hindurchzuführen. Dieses Zahnrad lief stets beim Ablauf des Verschlusses mit. Im Zuge der Umkonstruktion des Verschlusses wurde dieses Zahnrad nun zu einem Bestandteil des Turmlagers. Damit wurde die Vorhangwalze von den Kraftwirkungen und Reibungen dieses Getriebeteils entlastet. Das Zahnrad läuft als Zahnkranz innerhalb des Turmlagers und nimmt die Verschlußvorhänge so lange mit, bis das im Vordergrund sichtbare, angeschraubte Messingteil die Vorhänge vom Zahnkranz abkuppelt.

Hemmwerke

Abb. 7: Links das Ankerhemmwerk der Contax S, rechts das auf dem Prinzip des  Fliehkraftreglers beruhende Hemmwerk der Contax D ff.

Als drittes und wohl augenfälligstes Merkmal des neuen Verschlusses möchte ich noch das neue Hemmwerk erwähnen. Hier wurde von einer Ankerhemmung, wie man sie von Selbstauslösern kennt, zu einem Fliehkraftregler-Hemmwerk übergegangen. Diese Konstruktionsänderung ist aus der Sicht des Sammlers besonders hilfreich, weil er hier ohne die Kamera zerlegen zu müssen am Klang feststellen kann, ob es sich um eine ursprüngliche Contax S oder eine zur Contax D umgebaute S Typ D handelt. Voraussetzung ist natürlich, daß der Verschluß noch abläuft. Wer also herausfinden will, ob die oben angesprochene „frühe“ Contax in den Technischen Sammlungen Dresden mit dem schwarz angemalten Prismendom wirklich authentisch ist, der könnte hingehen, die Kamera auf eine Sekunde einzustellen und den Verschluß ablaufen zu lassen. Das müßte sich dann folgendermaßen anhören:

Diskrepanzen in den Seriennummern machten stutzig

Aber wieso „ursprüngliche Contax S“ und „zur Contax D umgebaute Contax S Typ D“? Bevor ich im vergangenen Herbst die zweite frühe Contax S mit der Seriennummer 2012 zur Reparatur erhielt, hatte mir Yves Strobelt seine akribisch recherchierte Auflistung von Seriennummern verschiedener Contax-Modelle zugeschickt. Dabei trat folgende Diskrepanz auf: Ich konnte nun mit Sicherheit sagen, daß der ursprüngliche Verschluß der Contax S und der umkonstruierte der späteren Kameras sich zeitlich eindeutig voneinander abgrenzen lassen. In der Liste mit den Seriennummern kamen aber Modelle der Contax S und der Contax S Typ D über längere Zeiträume hinweg unsystematisch vermischt vor. Etwas weiter in Richtung höherer Seriennummern mischten sich auch Kameras der Contax D langsam in die Reihe ein. Hier konnte etwas nicht stimmen. Meine ursprüngliche Vermutung, man habe mit der Contax D und dem neuen Verschluß mit den Seriennummern von vorn zu zählen begonnen, stellte sich bald als falsch heraus.


Weil die zweite Contax S mit der Seriennummer 2012 im Zuge der Reparatur wiederum weitgehend zerlegt werden mußte, hatte ich Gelegenheit, diese im Urzustand befindliche Kamera tiefgreifend mit einer Contax S Typ D und einer Contax D direkt zu vergleichen. Dabei stieß ich auf Anzeichen, die die Frage, was es mit dem mysteriösen Zwischenmodell Contax S Typ D auf sich hat, ein wenig besser erklären können, als das bislang möglich war. 


Äußerlich erkennbar, und daher auch seit längerem bekannt ist, daß das „D“ in mancher Frontkappe der Contax S Typ D sich zum Teil deutlich von der darüberstehenden „Zeiss Ikon“-Gravur unterscheidet und damit offensichtlich nachträglich graviert wurde. Es gibt allerdings auch Frontkappen, auf denen beide Angaben gemeinsam graviert worden sind. Erst als Yves Strobelt mich auf dieses Faktum aufmerksam gemacht hatte, wurde mir klar, wie sich all diese Ungereimtheiten in einen sinnvollen Zusammenhang bringen lassen. Es sind deshalb die Modelle Contax S und die Contax S Typ D innerhalb des Nummernbereichs der Contax S wild durcheinander verstreut, weil die Contax S offenbar in großen Umfang auf den neuen Verschluß der Contax D umgebaut, und damit zum Modell Contax S Typ D wurde.


Nun, da mir dieser Zusammenhang offenbar geworden war, fielen mir auch Merkmale ins Auge, mit denen dieser sich empirisch nachweisen ließ. Ich hatte mich nämlich zuvor bei der Reparatur einer Contax S Typ D darüber gewundert, daß in dieser Kamera ein Widerlager für eine Feder eingebaut war, die beide für den Verschlußtyp D überhaupt nicht notwendig sind. Es handelt sich um genau jenen Bolzen, an dem die Feder des Hebels befestigt ist, den ich oben mangels besseren Wissens als Verschlußbremse bezeichnet habe. Da dieser, wie oben gezeigt wurde, ein eindeutiges Merkmal für eine Contax S ist, die Kamera aber nun den Verschluß der Contax D besitzt, ist dies ein stichhaltiger Beweis dafür, daß diese Kamera im Nachhinein den neu entwickelten Verschluß des Nachfolgemodells bekommen hat. Als glücklicher Umstand ist dabei anzusehen, daß der Bolzen – wohl um Lichteinfall durch die Bohrung in den Patronenraum zu vermeiden – einfach an Ort und Stelle belassen wurde. Nur so konnte ich ihn nämlich bemerken.

Contax S
Contax S Typ D
Contax D

Abb. 8; 9 und 10: Oben die teilzerlegte Contax S Nr. 2012 während des Einbaus neuer Verschlußtücher. Das Bild in der Mitte zeigt einen Blick in die entkernte Contax S Typ D Nr. 15 781. Der obere kleine Kreis weist jeweils auf das Widerlager für die Feder, der große Kreis auf die Ausfräsung für das neue Turmlager. In der oberen, noch im ursprünglichen Zustand befindlichen Kamera fehlt die Ausfräsung. Sie wurde bei der mittleren Kamera nachträglich angebracht. Das erkennt man sehr gut im   Vergleich zu einem späteren Serienmodell der Contax D (Bild unten), bei der  das Gewinde für das Widerlager der Feder  gar nicht erst vorgesehen, der zusätzliche Raum für das neue Turmlager aber bereits im Kameraguß enthalten ist.

Erst später fiel mir noch ein zweites eindeutiges Beweismerkmal auf. Das neue Turmlager der Contax D ist aus Gründen, wie ich sie oben beschrieben habe, anders geformt, als das des Vorgängers. Das Blech des Ausrückmechanismus ragt so weit hervor, daß am Chassis der Contax S eine Ausfräsung notwendig wurde, bevor man das neue Turmlager einbauen konnte. Erst jetzt erinnerte ich mich, daß ich diese Ausfräsung ja bereits bei der Reparatur der Contax S von Yves Strobelt zuvor selbst angebracht hatte, um das Turmlager eines Ersatzteilspenders unterzubringen. Der originale Mechanismus dieser Kamera war durch Gewalteinwirkung leider nicht mehr brauchbar. Ich hatte also unbewußt das getan, was in den 1950er Jahren die Mechaniker bei Zeiss Ikon bzw. in den Vertragswerkstätten offenbar in größerem Umfange vorgenommen hatten: Eine kleine Ausfräsung anzubringen, um den Verschluß der Contax D in defekte oder unzuverlässige Modelle der Contax S einzubauen.


Diese offenbar zahlenmäßig recht umfangreichen Umbaumaßnahmen kann ich freilich nicht mit Archivmaterial oder dgl. belegen, sondern nur indirekt anhand von Merkmalen erhalten gebliebener Kameras schlußfolgern. Bei Untersuchung von vier weiteren Exemplaren der Contax S Typ D waren beide oben aufgezeigten Merkmale nachweisbar, welche diese Kameras nach meiner Hypothese als zum Modell D umgebaute Contax S ausweisen. Um hier noch sicherer zu gehen, müßten weitere Exemplare der Contax S Typ D untersucht werden. Zumindest das Merkmal der Ausfräsung für das neue Turmlager ist auch ohne großes Zerlegen der Kamera gut sichtbar. Bei den späteren Serienmodellen der Contax D fehlt diese Ausfräsung übrigens. Hier wurde dann gleich die Gußform des Kamerakörpers entsprechend angepaßt. Auch das Widerlager für die Feder ist verständlicherweise bei diesen Modellen fortgelassen worden.

Es bleiben natürlich Fragen

Bedeutet das Vorhandensein des „kleinen D“ unter dem Zeiss-Ikon-Achromaten einer Contax S, daß es sich ausschließlich um nachträgliche Umbauten der älteren Contaxmodelle handelt, oder könnte die Kamera auch in dieser Form neu ab Werk produziert worden sein? Offenbar trifft letzteres zu, denn es existieren entsprechende Bedienungsanleitungen. Es könnte sich dabei um ein Übergangsmodell handeln, bei dem noch Kameragrundkörper der Contax S ab Werk mit dem neuen Verschluß bestückt wurden. Dies würde auch einigermaßen erklären, warum neben nachgravierten auch neu gefertigte Frontkappen mit dem „kleinen D“ verbaut wurden. Es scheint übrigens auch so gewesen zu sein, daß bei dieser Umbauaktion einfach diejenigen Frontkappen verbaut wurden, die gerade vorrätig waren. So kann Yves Strobelt sogar Kameras im Nummernkreis der Contax S nachweisen, die nach dem Umbau eine Frontkappe der Contax D bekommen haben. Letztere haben interessanterweise sogar einen Ernemanntum auf der Schrägfläche, wie er erst zur Zeit der Contax F üblich wurde. Solche Anzeichen deuten darauf hin, daß die besagte Umbauaktion über einen viel längeren Zeitraum hinweg stattgefunden haben mag, als lediglich innerhalb der Garantiefrist der Contax S. Aber dies wird man heute kaum noch stichhaltig klären können.

Contax S Typ D Anleitung

Abb. 11: Das Deckblatt einer Bedienungsanleitung der Contax S Typ D, die darauf verweist, daß dieses Modell nicht nur aus Umbauten entstanden ist, sondern auch ab Werk so geliefert wurde. Der Druckvermerk der Anleitung datiert diese auf den März 1952.

Auch nicht mehr genau klären können wird man meiner Auffassung nach die Frage, was genau die Buchstabenfolge A, B und C ausmacht, bevor das Modell D entstand. Wir sollten aber unbedingt davon ausgehen, daß diese Buchstaben ihre tiefgreifende und wichtige Bedeutung innerhalb der Evolution der Spiegelcontax haben. Diese besteht aber garantiert nicht darin, daß sich die Formgebung des Zeiteneinstellknopfes geändert hat. Vielmehr ist davon auszugehen, daß mit diesen Buchstaben wichtige Entwicklungsschritte beispielsweise des Schlitzverschlusses voneinander abgegrenzt werden. Offenbar kann heute niemand mehr sagen, auf welche Entwicklungsstufe sich eigentlich das „Modell A“ bezog. Es ist aber sicherlich davon auszugehen, daß bei Anlauf der Serienfertigung bereits der Entwicklungsstand „C“ erreicht worden ist. Yves Strobelt und ich fragen uns daher, ob es nicht sinnvoll wäre, für alle Spiegelcontax ab etwa einer dreistelligen Seriennummer bis zum Erscheinen des Modells Contax S Typ D – also quasi für alle im Originalzustand belassenen Contax S – pauschal von einer Contax S Typ C zu sprechen. Wir sind der Auffassung, daß durch eine solche Übereinkunft manch fachinterne Diskussion erleichtert werden würde.


Yves Strobelt arbeitet weiter an der Vervollständigung seiner Liste mit Kameranummern. Es bestehen noch Lücken, die es aufzufüllen gilt. Auf diese Weise könnte man vielleicht einmal die Frage aufklären, welchen Zweck der zweite Nummernkreis hat, der auf der Kamerarückwand aufgraviert ist und wieso dieser zwischendurch einmal unvermittelt auf eine siebenstellige Zählweise wechselt, um dann anschließend wieder zu sechs Stellen zurückzukehren. Wer zu dieser Datensammlung beitragen möchte, ist herzlich dazu eingeladen, seine Kamera- und Rückwandnummern zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zwecke oder auch für Fragen oder Anregungen stehen wir gerne per email oder Facebook zur Verfügung.



Marco Kröger, März 2016 [letzte Änderung vom 18. 6. 2018; Einleitungstext wieder auf den ursprüngliche Wortlaut umgeändert]

Nachtrag: Dr. Alexander Schulz hat zwei Monographien zur Geschichte der Spiegelcontax geschrieben. Im ersten, in deutscher Sprache  verfaßten Werk, beschreibt er noch die Unterscheidung in die Modelle A, B und C der frühen Contax S. In seinem zweiten, englischsprachigen Buch, erwähnt er diese Aufteilung nicht, sondern erklärt das Auftauchen des "D"  damit, daß es Zeiss Ikon im März 1951 durch ein Westberliner Gericht verboten worden sei, Kameras mit dem Markenzeichen Contax in der Bundesrepublik zu vertreiben. Kurze Zeit später habe die Zeiss Ikon AG Stuttgart sich das Markenrecht am "Zeiss-Ikon-Label" international sichern können. Der VEB Zeiss Ikon Dresden habe daraufhin mit dem Hinzufügen des "D" stärker auf den Produktionsstandort Dresden verweisen wollen. [Vgl. Schulz, Contax S, Stuttgart, 2008, S. 63]. Auf meine Nachfrage, wieso er auf diese konstruiert klingende Erklärung komme, erklärte Schulz, er hielte mittlerweile die Einteilung in die Modellreihen A, B und C für eine bewußte Fälschung Richard Hummels und habe sie deshalb fallengelassen.


Ich halte diese Modelleinteilung in A, B und C indes nicht für eine Fälschung Richard Hummels, auch wenn diesem Mann ansonsten ein äußerst fragwürdiges Arbeiten bis hin zur bewußten Manipulation vorgeworfen werden muß. Ich denke, ich habe im obigen Aufsatz hinreichend deutlich machen können, woran sich das Erscheinen eines neuen Modells Contax D festmachen läßt. Der Rest ist eine Frage des logischen Denkens. Die Authentizität der Modelle A, B und C erscheint doch allein dadurch mehr als plausibel, weil die nachfolgenden Weiterentwicklungen der Contax mit den Modellen D, E und F in DERSELBEN alphabetischen Folge weitergeführt wurde.



Noch ein Nachtrag: Jetzt habe ich auch den Ursprung dieser Legenden um das "D" gefunden. Auch Hans-Jürgen Kuć muß ich leider zu jenen "Fachbuchautoren" zählen, die ihren Bekanntheitsgrad und ihre Zitierrate offensichtlich nur dadurch erreicht haben, weil ihre Einlassungen nicht auf irgendwelchen privaten Hompages stehen, sondern vor 20...30...40 Jahren noch auf Papier gedruckt wurden. Auf die dadurch vorgegaukelte Autorität sollte man jedoch nicht hereinfallen. Im Gegenteil: Ich habe den Eindruck, bei dieserart freien Schriftstellern lag damals das Augenmerk hauptsächlich darauf, in rascher Folge möglichst opulente Bücher herauszubringen, mit denen man seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Technikgeschichtliche Hintergründe waren dagegen zweitrangig, wenn sie nicht unmittelbar in einer vom Sammler unterscheidbaren äußeren Veränderung der Kamera mündeten. Und was man nicht wußte oder nicht recherchieren wollte, weil das Technische ja eh niemand versteht, das wurde eben zusammenfabuliert. Das Buch mußte ja irgendwie mit Inhalt gefüllt werden. Das Ganze führt dazu, daß derlei Machwerke heutzutage keinerlei Zitierfähigkeit mehr haben. Man kann sie quasi nur noch als putziges Dokument aus der Zeit vor dem Internet betrachten, wo der Leser eben glauben mußte, was er da las.

Ähnliches gilt auch für den oben im Ausschnitt gezeigten Aufsatz von Kuć "Contax SLR cameras" in der "Zeiss Historica" vom Herbst 1982, der einen vielsagenden Einblick in die Arbeitsweise dieses Autors aufbietet. Drei Erklärungen für das "D" (wenn man genau liest sogar vier), wobei bei keiner einzigen in irgendeiner Form der Versuch des Belegens unternommen wird. Wieso auch, wenn man sie ebenso gut an den Haaren herbeiziehen kann. Und an den Haaren muß man halt alles herbeiziehen, weil es ja angeblich keine nennenswerten Veränderungen zum Vorgängermodell gibt. Selbst diese Fehleinschätzung steht gleich zweimal in diesem kurzen Abschnitt.


Auch die völlige Fehlleitung, das "Staudinger-Patent" sei die Grundlage für das Pentaprisma der Spiegelcontax, taucht an einer anderen Stelle in diesem Artikel wohl erstmals auf und wurde später von anderen "Artikelschreibern" übernommen. Daß drei in bestimmten Winkeln zueinander gestellte Spiegel etwas anderes sind, als ein Prisma aus Glas, also aus einem optischen Medium, das Licht bricht und in seine Farben zerlegt, und deshalb im Gegensatz zu Spiegeln einer optischen Korrekturarbeit bedarf, wird völlig übergangen. Ebenso wie die Tatsache, daß es in Staudingers Patent gar kein Okular gibt...

Ein weiterer Nachtrag vom 29. Dezember 2020

Es werden jetzt im Februar 2021 fünf Jahre, daß ich den obigen Artikel verfaßt habe. Ursprünglich war er gedacht, in einer bekannten Sammler-Zeitschrift veröffentlicht zu werden. Der Text war schon gesetzt, da bekam ich vom Herausgeber eine plötzliche Ablehnung, nachdem sich dieser mit seinem "Hausautor" rückgesprochen hatte. Das wesentliche Argument für die Zurückweisung war, der Artikel beschäftige sich hauptsächlich mit dem Innenleben der Kamera und 99% der Leser würden ihre Kameras nicht zerlegen und könnten die zu sehr ins Detail gehenden Informationen ohnehin nicht nachvollziehen. Zweitens wurde mir quasi vorgeworfen, ich würde die bisher mit diesem Thema beschäftigten Autoren verunglimpfen. Daß mir die bisherigen Artikel und Bücher zu dieser Kamera, die mir Yves Strobelt zugänglich gemacht hatte, aufgrund ihrer apodiktischen Aussagen und den offensichtlichen Widersprüchen damals regelrecht die Haare zu Berge stehen ließen, darauf brauche ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Ich habe oben ja bereits einige Beispiele für die Arbeitsweise jener Autoren gebracht.


So enttäuschend die Ablehnung des Artikels damals auch gewesen ist eigentlich müßte ich dem Herausgeber der Sammlerzeitschrift ja dankbar sein. Schließlich lieferte er den Anlaß, daß mich Yves Strobelt einlud, den Artikel auf seiner damals bereits existierenden Internetseite zu veröffentlichen. Es konnte ja keiner ahnen, daß das ganze einmal derartig ausarten würde...


Aber zurück zum obigen Artikel "Serienmäßig umgebaut?". Die regelmäßigen Rückmeldungen der Leserschaft auf diese Veröffentlichung haben gezeigt, daß Kamerasammler sehr wohl die genannten technischen Merkmale erkennen und meine daraus gezogenen Schlußfolgerungen nachvollziehen können. Auf diese Weise konnten wir über die Jahre hinweg etliche dieser Umbauten nachweisen und die oben aufgestellten Thesen bekräftigen.

Zum Jahresende 2020 erreichte uns nun aber eine Mail, die man als ausgesprochenen Glücksfall bezeichnen muß und die mich naturgemäß sehr erfreut hat. Nur selten nämlich ergibt sich der Umstand, daß anhand von Indizien aufgestellte Thesen nachträglich durch Originaldokumente bewiesen werden können. Aber Lianne Munten aus Venlo in den Niederlanden hat nicht nur eine Kamera aus der frühen Produktion der Spiegelcontax aufgetan, sondern anbei war auch eine Korrespondenz mit dem Herstellerwerk, die bis hin zum Einlieferungsbeleg bei der Post lückenlos erhalten geblieben ist. Ich gebe hier die wichtisten Dokumente wieder. Am Anfang steht ein Kaufbeleg, der aufzeigt, daß der Lehrer Herbert Born aus Köritz Ende Mai 1952 eine Contax S (sowie eine Exakta) erworben hatte. Daß dies unter dem Dach der DDR-Massenorganisation "Kulturbund" geschah, hat damit zu tun, daß derartige Konsumgüterprodukte in der DDR bis Ende der 50er Jahre für Privatpersonen nicht frei erhältlich waren, sondern nur über Bezugsschein.

Bereits wenige Tage später versagte diese neu erworbene Kamera aber ihren Dienst, was Lehrer Born dazu veranlaßte, umgehend eine Reparatur beim Hersteller zu ersuchen. Man beachte auch den geschickten Nachdruck, den Herr Born einzusetzen wußte, da die Kamera schließlich für einen offiziellen Anlaß gebraucht würde.

Die Kamera wurde sodann wohl auch repariert, aber aus der weiteren Überlieferung der Korrespondenz läßt sich schließen, daß sich keine dauerhafte Zuverlässigkeit einstellen wollte. Drei Jahre später wurde daher die Kamera abermals an das Herstellerwerk geschickt.

Die daraufhin folgende Rückantwort des VEB Zeiss Ikon bestätigt nicht nur meine These zu den offenbar weitgreifenden Umbauten der alten Contax S Typ C auf die Verschlußmechanik des neuen Modells Typ D, sondern nennt sogar einen Kostenanteil, den der Besitzer der Kamera zu tragen hatte. Nun nach Ablauf aller Garantiefristen noch einmal 87,- Mark (das war damals viel Geld!) investieren zu müssen, um überhaupt zu einem funktionstüchtigen Gerät zu gelangen, war schon kurios und dürfte der alt ehrwürdigen Zeiss Ikon in Dresden einiges an Reputation gekostet haben. Man fragt sich auch, was damals der Fachhhandel davon gehalten hat, diese unzuverlässigen Kameras noch anzubieten, denn 1952 hatten sich diese Tatsachen im In- wie Ausland längst herumgesprochen. Ja, vielleicht wurden gar Lagerbestände des alten Modells gezielt im Inland zum Verkauf freigegeben, um sie loszuwerden. Aber das ist freilich nur Spekulation.

Die dienstbeflissene Aktennotiz unseres braven Lehrers Born auf der Rückseite der obigen Rückantwort läßt uns jedenfalls wissen, daß seine Contax schließlich im August 1955 zum Umbau auf die Verschlußmechanik der Contax D freigegeben wurde. Man kann sich leicht vorstellen, daß diese Kamera nicht die einzige gewesen sein wird. Und 87,- Mark werden für diese Umrüstung wohl kaum kostendeckend gewesen sein. Eine schwere Bürde für das Herstellerwerk, das mit den Nacharbeiten offensichtlich stark belastet wurde.

Marco Kröger 2015


letzte Aktualisierung: 23. Dezember 2023