Oreston 1,4

Oreston 1,4/50

Feinoptisches Werk Görlitz

Die Praktica L-Reihe war der größte Wurf der Dresdner Kameraindustrie nach 1945. Die Kameras hatten mit guten technischen Daten aufzuwarten, waren modern gestaltet und ließen sich sehr rationell fertigen. Entsprechend erfolgreich war diese Baureihe dann auch auf westlichen Exportmärkten. Im Abschnitt zum Prakticar 1,4/50mm habe ich schon erwähnt, wie die nunmehr den Takt vorgebende japanische Photoindustrie zunehmend auch im Amateursektor mit bezahlbaren Normalobjektiven der Lichtstärke 1:1,4 aufwarten konnte. Um am Ball zu bleiben, wurde auch im gerade neugeschaffenen Kombinat Pentacon an einem solchen Normalobjektiv gearbeitet.


Dieses besagte 1,4/50mm aus Görlitz war bislang eher so etwas wie Spekulation. Zeitgenossen wußten sich zu erinnern, daß in Görlitz mal an so etwas gearbeitet wurde, aber näheres war nicht bekannt. Ich habe aber im April 2016  zwei unterschiedliche Quellen ausfindig machen können, die die Existenz dieses Projektes belegen und nähere Details liefern konnten. Wie der Zufall so spielt, tauchte etwa einen Monat später ein Exemplar in einer Internetauktion auf. Es ist der Umsicht einiger Praktica-Freunde zu verdanken, daß dieses Objektiv "Pentaconar 1,4/50mm" überhaupt entdeckt wurde, denn flüchtig betrachtet läßt es sich kaum von einem Oreston 1,8/50 unterscheiden.


Aber erst einmal zu den beiden Quellenüberlieferungen: Zum einen existiert ein Sachnummernverzeichnis zur DDR-Photoindustrie, in dem quasi alle jemals in der DDR produzierten Artikel aus dem Photobereich aufgelistet sind. Hier fand ich erstmals eine genaue Bezeichnung: Das Objektiv sollte Oreston 1,4/50mm heißen und die Sachnummer war mit 100 040 für den M42-Anschluß mit Automatikblende und 100 030 für die electric-Variante vorgesehen. Zweitens habe ich eine Bundesrepublikanische Patentanmeldung für dieses Objektiv vom 4. August 1970 unter der Nummer 2.038.579 gefunden (ferner existiert ein DDR Patent Nr. 79.857 vom 25. August 1969). Konstrukteur war Wolfgang Hecking. Das Objektiv Oreston 1,4/50 war offenbar zur Fabrikationsreife entwickelt und stand kurz vor der Serienproduktion. Wieso diese am Ende doch unterblieb, ist nicht überliefert. Ich glaube, daß dieses Objektiv sehr aufwendig und teuer in der Herstellung geworden wäre. Immerhin gibt die Patentschrift darüber Auskunft, daß in der Frontlinse sowie den drei hintersten Elementen hochbrechendes Schwerkron vom Typ SK22 mit der Brechzahl 1,6781 und der Abbeschen Zahl von 55 eingesetzt werden sollte.


Nun tauchte aber im Mai 2016, etwa einen Monat nachdem ich diesen Artikel geschrieben hatte,  doch tatsächlich ein Oreston 1,4/50mm unter der Bezeichnung "Pentaconar electric 1,4/50" in einer Internetauktion auf. Das bedeutet, daß dieses Objektiv nicht nur real existiert, sondern daß offenbar sogar eine Nullserie in den Handel gekommen ist. Die Bezeichnung "Pentaconar" deutet in diesem Fall auf  Export hin. 


Schade ist es schon, daß das Oreston 1,4/50 nicht serienmäßig gebaut wurde. Viele dieser japanische "Einsvierer" der preiswerteren Klasse kamen von Herstellern aus der dritten Reihe, deren Name dem Endkunden  kaum bekannt gemacht wurde (Cosina, Tomioka, Cima u.a.). Mit ihnen wurden Kameras diverser Hersteller bzw. Handelsmarken ausgestattet. Auch sie waren qualitativ auf einem niedrigeren Niveau, als die absoluten Spitzenkonstruktionen mit teuren Spezialgläsern, wie sie in den 70er Jahren beispielsweise von Leitz oder Olympus herausgebracht wurden. Tatsächlich ist es sogar so, daß viele Amateure solch ein lichtstarkes Objektiv nur aus Prestigegründen kauften, und nicht um wirklich mit der vollen Öffnung zu arbeiten. Aus Sicht des Marketings ist es daher verschmerzlich, wenn wenn die volle Öffnung von 1:1,4 oder gar 1:1,2 in der Realität nur als berühmte "Renommierblende" ausfällt.

Oreston 1,4/50mm Schema

Oben der Linsenschnitt des Oreston 1,4/50 aus der Patentschrift. Unten ein Exemplar dieses Objektives unter dem Exportlabel Pentaconar.

Oreston 1,4/50mm

M. Kröger, April 2016


letzte Änderung: 14. April 2022