Prakticar 2,4/28

Prakticar 2,4/28

In den 70er Jahren hatten Japanische Objektivbaufirmen traditionsreiche deutsche Hersteller nicht nur mit ihren Produkten abgehängt, sondern auch mit wervollen Grundlagenentwicklungen. Dieses Zeiss-Objektiv ist jedoch ein Anzeichen dafür, daß man damals in Jena durchaus noch nicht das Handtuch geworfen hatte.

Jena Prakticar 2,4/28mm

Die  Entwicklung der Jenaer Retrofokusobjektive ist ohne die schöpferische Leistung Eberhard Dietzschs nicht denkbar. Er war bereits Anfang der 60er Jahre an der Erarbeitung der Flektogone 4/50 mm und 4/20 mm beteiligt und bald wurde die Weiterentwicklung unter seiner Leitung fortgeführt. Wie groß dabei der Anteil an Grundlagenforschung gewesen ist, erkennt man beispielsweise an folgender technischer Sackgasse: Dietzsch hatte bereits 1967 einen Prototyp des späteren Flektogon 2,8/20 mm fertig. In der Erprobung habe dieses Objektiv bei Abbildung auf Unendlich eine hervorragende Bildleistung gezeigt. Sobald es aber auf endliche Objektentfernungen eingestellt wurde, sei es geradezu unbrauchbar geworden. [Vgl. Dietzsch, Retrofokusobjektive, 2002, S. 16.] Dieses Verhalten konnte man sich zunächst nicht erklären, denn ein derartig drastisches Abfallen der Bildleistung bei Naheinstellung war bei bisherigen Objektivtypen unbekannt. Erst theoretische Untersuchungen hätten anschließend ergeben, daß bei Retrofokusobjektiven mit ihren sehr von üblichen Objektivtypen abweichenden Aufbauten schon bei mäßigen Abbildungsmaßstäben starker Astigmatismus und Wölbung auftrete [Vgl. ebenda S. 16 und 17]. Durch die ausgeprägten Asymmetrien in diesen Objektivtypen wird nämlich das Verhältnis zwischen Eintritts- und Austrittspupille weit auseinandergetrieben. Beim Prakticar 2,4/28 führt dies beispielsweise dazu, daß der freie Durchmesser beim Hineinblicken in das Objektiv von vorn ganze 2,2 Mal kleiner wirkt als beim Durchblick von hinten. Durch die vergleichsweise hohe Lichtstärke führe dies bei Naheinstellung zu einem unzulässig hohen Anwachsen insbesondere der Meridionalwölbung, was durch die untenstehenden Kurven verdeutlicht wird.

Prakticar 2,4/28 floating elements

Schon 1967 hatte Dietzsch erkannt, daß ein im Zaume halten der oben benannten Fehler beispielsweise durch einen variablen Luftzwischenraum möglich sei. International ist dieses Verfahren später als "Floating Elements" bekannt geworden. Das dafür notwendige Verschieben einzelner Linsen oder Objektivgruppen beim Scharfstellen innerhalb des Objektives bedeutet aber einen großen mechanischen Aufwand und daher eine wesentliche Verteuerung für solch ein Objektiv. Ist normalerweise die gesamte Optik in zwei Teile jeweils vor und hinter der Blende aufgespalten, so wird jene bei einem Objektiv mit Floating-Elementen in mindestens drei separate Teile zerlegt, was den Zentrieraufwand bzw. die Fehleranfälligkeit deutlich erhöht. Aus Kostengründen wurde das damals abgelehnt und Dietzsch hat sein Flektogon 2,8/20 daher mit einem gewissen Kunstgriff auskorrigiert ("angepaßte Komakorrektur").

Prakticar 2,4/28mm scheme

In der Folgezeit stellte sich heraus, daß ohne das Verfahren der Floating Elements kaum noch lichtstarke Weitwinkel auf internationalem Stand der Technik geschaffen werden können. Zwar war die Firma Nikon als erste mit einem derartigen Objektiv auf den Markt gegangen, doch gelang die patentrechtliche Absicherung nicht in vollem Ausmaß, weil das dahinterstehende Grundprinzip bereits in den 1950er Jahren geschützt worden war. Nachdem sich dieser patentrechtliche Schwebezustand im Laufe der 70er Jahre durch Abschluß der Prüfverfahren vonseiten der Patentämter langsam klärte, brachten auch immer mehr Konkurrenzfirmen derartige Objektive mit Bildfehlerausgleich heraus. Insbesondere die Firma Olympus, die dieses Themengebiet gleich mit vier Spitzen-Konstrukteuren in Angriff nahm, brachte in dieser Zeit eine große Anzahl sehr lichtstarker und gleichzeitig sehr kompakter Retrofokus-Weitwinkel heraus, die die Konkurrenten rasch in großen Zugzwang brachten.

Flektogon 2,4/28mm Prototyp

Auch der VEB Carl Zeiss JENA wollte nun mit dem Prakticar 2,4/28 mm aus "marktstrategischen Gründen" schritthalten und ebenfalls dieses Floating-Verfahren einführen. Um die Kosten dennoch im Zaume zu halten, hatten Eberhard Dietzsch und Gudrun Schneider den abbildungsmaßstababhängigen Bildfehlerausgleich allerdings so ausgelegt, daß er keine weitere Aufspaltung des Objektivs erforderte, als in die ohnehin vorhandene Gruppe vor und hinter der Blende. Sie nutzten also diesen Blendenraum zum Bildfehlerausgleich, indem dieser bei Naheinstellung des Objektives gekoppelt mit dem Schneckengang um etwa 20 Prozent dessen Hubes verkürzt wurde, also vordere und hintere Hälfte einander angenähert wurden. Damit war ihr Verfahren der Floating-Elemente deutlich besser zu fertigen als bisherige Lösungen. Diese Erfindungen haben sie sich im DDR-Patent Nr. 149.826 vom 10. März 1980 schützen lassen. Aus dieser Anmeldung geht auch hervor, daß auf dieser Basis nicht nur das Prakticar 2,4/28 mm sondern auch ein neuentwickeltes Weitwinkel 2,8/20 mm vorgesehen war. 1984 folgte sogar noch die Entwicklung eines Flektogons 2,4/20 mm. Das 2,4/28 kam freilich über eine Kleinserie nicht hinaus und die neuen 20 mm Objektive wurden nie gebaut. DDR-Spiegelreflexkameras hatten nun aus internationaler Sicht längst ihre Spitzenstellung verloren also wurden auch keine Spitzenobjektive gebraucht.

Flektogon 2,4/28 Musterobjektiv

Das spätere Prakticar 2,4/28 mm hat als Rechnungsdatum den 10. August 1976. Es ist also deutlich älter als das Praktica B-System. Oben sieht man das Versuchsobjektiv Nr. 640 als "Flektogon 2,4/28 mm", das aus dem Entstehungsjahr dieser Konstruktion stammen dürfte [Photo: T. Hirt, Schweiz]. Laut Thiele wurde zum Jahresende 1979 aber auch eine Kleinserie von 40 Stück dieses Flektogons in M42-Anschluß hergestellt. Ein Exemplar davon ist unten gezeigt.

Flektogon 2.4/28

Marco Kröger


Letzte Änderung: 26. Februar 2024