Prakticar 2,8/28

Prakticar 2,8/28

Mit dieser Überarbeitung des Retrofokus-Pioniers Orestegon 2,8/29 wurde in Görlitz Ende der 70er Jahre für die neue Praktica-B-Reihe ein zeitgemäßes mittleres Weitwinkel geschaffen.

Prakticar 2.8/28

Im Abschnitt zu den 1970er Jahren habe ich behauptet, das Pentacon auto 4/200 mm sei die letzte Neukonstruktion dieses Werkes gewesen, die wirklich in die Produktion gegangen sei. Ganz stimmt diese Aussage nicht. Im Zuge der Einführung des Praktica B-Bajonettes wurde nämlich das alte Orestegon 2,8/29 neu berechnet, dessen Konstruktion mittlerweile doch ziemlich in die Jahre gekommen war. Zwar blieb der Grundaufbau mit sieben einzelnstehenden Linsen grundsätzlich derselbe, aber sowohl die Linsenformen änderten sich leicht, als auch die Position des Blendenkörpers. Dieser wanderte nun genau zwischen den streuenden und sammelnden Teil – also eine Linse weiter vor. Zudem wurden offenbar auch andere Gläser eingesetzt, denn nicht nur die Brennweite verkürzte sich auf übliche 28 mm, sondern auch die Bildqualität konnte um einiges verbessert werden. Das Prakticar 2,8/28 mm ist wirklich ein ganz ausgezeichnetes Weitwinkelobjektiv.

Prakticar 2.8/28 Praktica B100

Die Überarbeitung wurde wohl durch Wolfgang Gröger besorgt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger aus dem Jahre 1964 reicht beim Prakticar 2,8/28 bei voller Öffnung die Schärfe bis in die Bildecken. Auch an der Kontrastleistung gibt es nun nichts mehr auszusetzen. Und obwohl der Bildwinkel ausgedehnt wurde, fällt auch die Randabschattung (Vignettierung) deutlich geringer aus, was sicherlich mit der Vorverlegung der Blende erzielt wurde. Die untenstehende Aufnahme zeigt einen Blick in die Kuppel der Nikolaikirche in Potsdam bei voller Öffnung der Blende. Selbst in den Randzonen des Bildes liegt das Auflösungsvermögen dieses Objektivs über dem des Filmmateriales (und des Scanners).

Prakticar 2.8/28 @ f/2.8

Während also andere Firmen in der Zeit um 1980 ihre 28-mm-Amateurobjektive aus Kostengründen vereinfachten (das wohl bekannteste Beispiel ist das Nikon E 2,8/28 mit lediglich fünf Linsen, das später sogar in der Autofokus-Version weiterverwendet wurde), modernisierte das Feinoptische Werk in Görlitz das siebenlinsige Orestegon in einer Weise, daß es nun zu den Spitzenobjektiven seiner Zeit aufschließen konnte. Freilich mußte dazu auch hier der Preis von 227,- Mark für das Pentacon auto 2,8/29 MC auf 471,- Mark für das Prakticar 2,8/28 mehr als verdoppelt werden. An diesem Punkt wird auch verständlich, wieso das mit automatischem Bildfehlerausgleich versehene und dadurch mechanisch sehr aufwendige Jenaer Prakticar 2,4/28 mm nicht in Serie gefertigt wurde. Dieses hätte sicherlich noch einmal das Doppelte gekostet.

Pentacon Prakticar 2,8/28mm

Hier ist ein Vergleich zu sehen zwischen der ursprünglichen Fassung des Prakticar 2,8/28 mm, die vollständig aus Metall bestand und bei der der Meterring mit dem typischen genopptem Gummi belegt ist. Unten steht demgegenüber die sogenannte "Ratiofassung" mit weitgreifendem Kunsstoffeinsatz (Polycarbonat) in den äußeren Fassungsteilen, die ab etwa 1987 die bisherige Bauform ersetzte. Da die neue Praktica BX20 mit Gehäuseschalen aus demselben Material versehen war, ergab sich ein einheitliches Erscheinungsbild, das zur damaligen Zeit eher als modern, denn als billig angesehen wurde.

Nicht wundern sollte man sich, wenn man das Prakticar 2,8/28 mit Plastik-Fassung ("Ratio") auch ab und an mit der Aufschrift "Carl Zeiss Jena P" statt "Pentacon Prakticar" findet. Es dürfte klar sein, daß es sich dabei trotzdem um dieselben Objektive aus Görlitz bzw. Bukarest handelt. Der Hintergrund liegt darin: Nachdem das Kombinat Pentacon 1985 aufgelöst und die Teilbetriebe ins Kombinat Carl Zeiss JENA eingegliedert worden waren, hätte man theoretisch jetzt überall "Zeiss Jena" draufschreiben können. Speziell auf Veranlassung der Carl-Zeiss-Jena-Niederlassung in London wurden ab Sommer 1988 Objektive mit Schriftringen versehen, auf denen "P" statt Prakticar und "CZ Jena" statt Pentacon stand. Ansonsten sind die Objektive mit der Serie völlig identisch. Nach demselben Verfahren wurden offenbar nach dem 3. Oktober 1990 nun Objektive mit Schriftringen komplettiert, auf denen "Meyer-Optik" und "Made in Germany" zu lesen war. Einzelne Exemplare haben zudem M42-Gewindeanschluß.

Überall wo es eng zugeht, ist ein 28mm-Objektiv eine günstige Wahl. Man hat "alles drauf", ohne daß es zu einer übertriebenen perspektivischen Verzerrung der Raumtiefe kommt. Das Prakticar 2,8/28 überzeugt dabei mit einer guten Bildqualität, auch wenn mit ziemlich weitgeöffneter Blende gearbeitet werden muß, wie hier an einem trüben Dezembertag im Jahre 2019. Die günstige Schärfentiefe verringert zudem Einstellschwierigkeiten.

Prakticar 2.8/28

Die obige Aufnahme entstand bei voller Öffnung der Blende und bei einer Einstellung des Schneckenganges auf knapp zwei Meter. Da das Prakticar 2,8/28 keinen Korrektionsausgleich hat, geht unter diesen Bedingungen die Bildleistung in den äußersten Ecken etwas zurück.


Das Bild unten zeigt, daß beim Prakticar 2,8/28 mm die Verzeichnung gegen Null tendiert und zumindest im praktischen Einsatz keinerlei Bedeutung hat. Praktica BX 20, Ilford Ortho 80.

Prakticar 2,8/28

Marco Kröger


letzte Änderung 10. Januar 2023