Macro-Prakticar

Macro-Prakticar 2,8/55

Mit Makro-Objektiven wurde in den 1970er Jahren der Sektor des althergebrachten Normalobjektivs bereichert und Zeiss Jena reagierte auf diese Trendvorgabe aus Japan.

Prakticar 2.8/55

An diesem Spezialobjektiv erkennt man gut, daß die Praktica B-Generation wirklich von Grund auf als ein komplettes neues System konzipiert wurde, das für den DDR-Kamerabau einen Anschluß an den internationalen Trend im Photomarkt bilden sollte. Und zu diesen Trends gehörte es mittlerweile, für die hauseigene Systemkamera Zubehörteile anzubieten, die in der Praxis vielleicht nur von ganz wenigen Photoamateuren wirklich als Ergänzung für ihre Photoausrüstung dazugekauft würden. Und eines dieser Zubehörteile war das sogenannte Makroobjektiv.

Zeiss Jena Macro Prakticar

Noch in den 50er Jahren, als viele Praktica- oder Exakta-Kameras mit dem Tessar 2,8/50 als Normalobjektiv ausgestattet waren, brauchte man für Nahaufnahmen keine speziellen Objektive. Das Tessar befriedigte bei mittlerer Abblendung auch im Nahbereich die meisten Ansprüche. Nachdem aber in den 70er Jahren auch der Gelegenheitsknipser seine Spiegelreflexkamera zunehmend in Kombination mit Normalobjektiven der Lichtstärken 1,8; 1,4 oder gar 1,2 anschaffte, fielen Aufnahmen im Nahbereich meist enttäuschend aus. Insbesondere bei den damals noch sehr oft vorkommenden Reproduktionsaufnahmen schließlich gab es noch keine PCs und keine Scanner versagten diese lichtstarken Objektive in verheerender Weise, weil es ihre im Nahbereich stark anwachsende  Bildfeldwölbung unmöglich machte, selbst bei stärkerer Abblendung die Mitte und den Rand beispielsweise einer abphotographierten Zeitungsseite gleichzeitig scharf zu bekommen. Desgleichen bei Dublikationsarbeiten von Negativen und Diapositiven. Um diesen Nebeneffekt der mittlerweile verbreiteten hochlichtstarken Normalobjektive zu kompensieren, brachten die Hersteller im selben Brenweitenbereich zusätzliche Objektivkonstruktionen heraus, bei denen das Augenmerk eben nicht auf eine hohe Lichtstärke, sondern auf die Korrektur der Bildfehler gelegt wurde – mit besonderer Beachtung des Nahbereichs. Auch war bei diesen Objektiven der Hub des Scheckengangs verlängert, um größere Abbildungsmaßstäbe (meist um 1:2) erreichen zu können. Einer der Vorreiter in diesem Bereich war die japanische Firma Nikon mit ihrem Micro-Nikkor 3,5/55mm (übrigens ein Biometartyp!). Qualitätsfanatiker erkannten dann rasch, daß diese sogenannten Makroobjektive auch bei Aufnahmen in normalen Entfernungsbereichen allerhöchste Scharfzeichnung boten, wenn man sie ein wenig abblendete.

Macro-Prakticar 2,8/55 schme

Das Macro-Prakticar 2,8/55 mm ist nun genau ein solches Spezialobjektiv, das nach den oben dargelegten Gesichtspunkten hin speziell geschaffen wurde. Es zeigt übrigens denselben Grundaufbau wie das Pancolar 1,8/50mm ist also von ihm abgeleitet. Anders als dieses ist es aber auf einen endlichen Abbildungsmaßstab hin korrigiert. Die Beschränkung auf ein maximales Öffnungsverhältnis von 1:2,8 kommt der Gesamtkorrektur des Systems sehr entgegen. Es zeigt ein sehr feines Auflösungsvermögen und eine gute Kontrastleistung, sollte aber bei Aufnahmen auf Unendlich leicht abgeblendet werden, wenn die hohe Bildqualität auch hier ausgenutzt werden soll. Beherzigt man das, dann handelt es sich beim Macro-Prakticar wohl um das leistungsfähigste Objektiv, das für die Praktica B-Reihe zu bekommen ist.

Macro-Prakticar 2,8/55mm

Die Rechnung für das Macro-Prakticar wurde am 23. März 1977 abgeschlossen. Den Unterlagen zufolge wurden etwa 7000 Stück hergestellt, was aber nicht gesichert ist. Auch soll es laut Literatur einzelne Exemplare als Macro-Pancolar 2,8/55 in M42 gegeben haben.

Praktica B Balgengerät

Eine besonders praktische Kombination ergab sich übrigens, wenn das Macro-Prakticar an dem äußerst gelungen konstruierten Praktica-B-Balgengerät verwendet wurde. Dieses Naheinstellgerät bot nicht nur eine Aufrechterhaltung der Automatischen Springblende sondern auch der Offenblendenmessung. Das war sehr einfach zu lösen, weil die Simulation der zu erwartenden Blendenöffnung bei Pentacon seit 1969 durch eine elektrische Blendenwertübertragung bewerkstelligt wurde, während die Konkurrenz damals stets eine mechanische Abtastung der Stellung des Blendenringes brauchte. Zwar hatte ein westdeutscher Hersteller für Minolta ein Balgengerät konstruiert, wo diese Blendenwertübertragung mechanisch ermöglicht wurde, allerdings war diese Konstruktion aufgrund von umvermeidlichem Spiel und Umkehrspannen recht kritisch. Bei Pentacon gab es diese Probleme nicht, weil zwischen der vorderen und der rückwärtigen Standarte des Balgengeräts nur eine elektrische Verbindung vorgesehen werden mußte. Das dafür nötige dreipolige Kabel war geschickt in dem oben gut sichtbaren Anzeiger für die Auszugslänge untergebracht. Patentiert wurde dieses Balgengerät in der DDR unter der Nummer 228.369 am 22. Juni 1981 und in einem amerikanischen Design Patent No. 263.313 vom 20. Juni 1979.

Praktica B Balgengerät
Praktica B Balgengerät
Praktica B Balgengerät

Sehr aufschlußreich fällt auch eine nähere Untersuchung der Abbildungsleistung dieses mit seinen sechs Linsen recht ambitionierten Objektives aus. Da zwar beim Macro-Prakticar 2,8/55 mm auf den mechanisch sehr aufwendigen Korrektionsausgleich verzichtet wurde, ergeben sich bei Reproduktionen und Dublikationen mit voller Objektivöffnung am Bildrand Unschärfen durch Bildfeldwölbung. Ein Micro-Nikkor 2,8/55 mm, unter denselben Bedingungen eingesetzt, zeigt diesen Bildfehler nicht. Doch wer reproduziert oder dubliziert schon bei offener Blende? Abgeblendet auf 5,6 sind die Unterschiede zwischen beiden Objektiven verschwunden. Und abgeblendet werden muß das Nikkor ohnehin, da nur auf diese Weise eine noch vorhandene Randabschattung restlich beseitigt werden kann.

Macro-Prakticar bei Blende 2,8
Macro-Prakticar bei Blende 5,6

Oben das Macro-Prakticar jeweils bei Blende 2,8 und 5,6. Unten im Vergleich dazu das Micro-Nikkor bei Blende 2,8 und 5,6. Da die Aufnamen bei sonst gleichen Bedingungen mit zwei verschiedenen Kamerasystemen angefertigt wurden, weisen sie beträchtliche Unterschiede in der Bildcharakteristik auf. Die Aufnahmen wurden aber bewußt ohne jegliche Manipulation hochgeladen.

Micro-Nikkor bei Blende 2,8
Micro-Nikkor bei Blnde 5,6

Ab Blende 5,6 erreichten dann diese "Normalobjektive mit erweitertem Nahbereich" auch auf weite Entfernungen eine herausragende Abbildungsleistung, selbst wenn sie nicht mit einem Korrektionsausgleich versehen waren, weshalb sie recht bald auch von Amateurphotographen gekauft wurden, denen es auf höchste Bildqualität ankam. Auch die Firmen Minolta, Canon und Olympus hatten in den 70er Jahren Makroobjektive mit den Daten 3,5/50 mm im Angebot und die Firma Leitz setzte mit ihrem hervorragenden Elmarit 2,8/60 mm neue Maßstäbe, wobei sie freilich in einer anderen Preisklasse lagen.

Zeiss Jena Macro Prakticar

Diese Aufnahmen entstanden bei voller Öffnung der Blende an einer auf das Praktica B-Bajonett umgebauten Pentax K100.

Marco Kröger


Letzte Änderung: 8. April 2024